Walchsing. Kapellen, Kreuze und Marterl prägen von jeher die Felder und Fluren unserer bayerischen Heimat. Sie entstehen oft aus Dankbarkeit oder erinnern an ein Unglück. Aber leider fährt man in der Hektik des Alltags nur allzu oft an ihnen vorbei, ohne ihnen große Beachtung zu schenken. Ein besonders schönes Exemplar findet man in Hütter auf der Staatsstraße Richtung Altenmarkt neben der Baumschule Plattner. Tag für Tag überquert Barbara Erner, die mit ihrem Mann Hans gegenüber wohnt, die Straße, um die Kapelle morgens aufzusperren bzw. abends wieder abzuschließen, sie jahreszeitlich zu schmücken oder einfach nach dem Rechten zu sehen. An Fronleichnam zaubert sie aus Blumen aus ihrem Garten einen Blumenteppich und legt ihn zu Füßen des Altars.
Wen es interessiert, den führt sie ins Innere und erzählt die Geschichte dieses Kleinods. Ursprünglich, so führt Barbara Erner aus, stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Marterl, weil nach alter Überlieferung an dieser Stelle einst ein Bauernsohn, nachdem er etliche Rinder auf dem Markt in Aidenbach verkauft hatte, auf dem Nachhauseweg überfallen, erschlagen und ausgeraubt worden sein soll. An derselben Stelle errichteten hier die Eheleute Florian und Theres Leher vom Hoibeck-Hof in Kriestorf später eine hölzerne Kapelle als Gedenkstätte für ihre beiden im Jahre 1812 im Napoleon Feldzug in Russland gefallenen Söhne Florian und Jakob. Schon damals stand eine Holzfigur, die die Schmerzhafte Muttergottes darstellte im Inneren der Kapelle. Die Figur einer Mutter mit ihrem im Schoß liegenden toten Sohn, passte nur zu gut zu dem Schmerz, den das Ehepaar Leher über den Verlust ihrer beiden Söhne empfunden haben muss. Viele Menschen, die ebenfalls Trost und Hilfe suchten, besuchten die Kapelle. Davon zeugen noch heute Votivtafeln von denen leider nur noch wenige erhalten sind.
Die Kapelle verfiel allerdings im Laufe der Zeit zusehends und musste letztendlich der Straßenerweiterung im Jahre 1998 weichen. Centa Gerstl aus Pörndorf, die nunmehrige Eigentümerin des Areals, entschied sich schließlich im Jahre 2000 dazu eine neue Kapelle aus Ziegeln als Ersatz bauen zu lassen. Da die alte Pieta, noch kurz vor Abriss der alten Kapelle, gestohlen wurde, fertigten die Holzschnitzer Sigi Schaffelhuber und Fassmaler Josef Hermannseder eine neue Madonnenfigur, die ihren Platz über den ebenso neu gestalteten Altar fand. Zudem stellten sie ihr den Heiligen Josef, den Namenspatron von Centas Gerstl Vater und links den Heiligen Konrad zur Seite. An den Wänden wurden die letzten, verbliebenen Votivbilder angebracht und Kunsthistoriker und Maler Günter Wolf fertigte eine verkleinerte Kopie des alten und ebenfalls verschollenen Gnadenbildes an. Darauf zu lesen der Spruch, den schon das Original zierte: „Komm nur herzu mein frommer Christ, sag mir was dein Anliegen ist. Bei meinem Sohn erhalt ich dir, ohne Trost sollst du nicht gehen von hier.“ Zur Abtrennung von Altarraum und Sitzbereich wurde von Hand ein geschmiedetes Gitter angefertigt, den ein goldener Engel ziert, der eines Tages einfach von unbekannter Hand in die Kapelle gelegt worden war. Umgeben ist die Kapelle von einer kleinen parkähnlichen Anlage, die von der benachbarten Baumschule Plattner gepflegt wird und eine Sitzgruppe lädt zum Verweilen neben der Kapelle ein.
Wenn man die Hütter Bärbel, wie Frau Erner liebevoll genannt wird, fragt, warum sie sich um die Kapelle kümmere, dann antwortet sie, dass es ihre Art sei, danke zu sagen. Nach ihrer Flucht aus Schlesien zusammen mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern — der Vater war im Feld geblieben — gehe es ihrer Familie und ihr gut. Und wenn sie schon auf Grund ihres Alters nicht mehr in der Lage sei den Gottesdienst zu besuchen, so führt sie weiter aus, nutze sie die benachbarte Kapelle, um dort Ruhe und Andacht zu finden. Am 21. Juli jährt es sich zum zwanzigsten Mal, dass die „Hütter Kapelle“, wie sie genannt wird, von dem gebürtigen Pörndorfer Msgr. Alois Furtner und dem damaligen Aldersbacher Pfarrer Dr. Richard Geier feierlich gesegnet wurde. Seit dieser Zeit kümmert sich Frau Erner um sie und wird es weiter tun, solange sie es kann.
Text: Brigitte Mörtlbauer-Ruhland